Da müsse sie erst die Kollegin fragen, kommt freundlich, bestimmt und deutlich vernehmbar die Antwort. Als diese eintrifft nochmal an die Empfangstheke. Hm, können Sie nicht vielleicht doch... ach so, niemanden, bei dem sie sich etwas leihen können... ja gut, dann bleiben sie halt mal. Nun wissen es auch die anderen Patienten. Ob sie jetzt die Spritzer vom letzten Regen in seiner noch nicht gereinigten Hose begutachten?
In einer dreiviertel Stunde habe der Herr Doktor dann Zeit. Er überlegt, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Der Wasserspender dort ist umsonst und für einen Kaffee im Stehbistro reicht es ja nicht mehr. Andererseits, die Blicke! In einer halben Stunde ist keiner von denen mehr da. Also eine Runde um den Block.
Pünktlich zurück ein verbindliches Lächeln. Wir bräuchten dann noch mal Ihre Versichertenkarte. - Ja, natürlich. Die hat er dabei. Doch was, wenn sie jetzt den 20-Euro Schein sehen. So wie neulich. „Ich sehe doch genau, dass Sie genug Geld im Portemonnaie haben.“ Er möchte nicht erklären, dass das Wochenende bevorsteht und er mit seinem Sohn wenigstens in Schwimmbad (für den Zoo langt es ohnehin nicht mehr) gehen möchte. Ich glaub die Karte steckt in meiner Jacke. An der Garderobe fingert er unbemerkt die Versichertenkarte aus der Börse. Den 20-Euro schein verstaut er sicherheitshalber im verdeckten Fach.
Im Wartezimmer trifft er eine Bekannte aus Zeiten, als er noch einen Job hatte. Ach, Herr Reinhardt, sie wohnen ja doch noch hier. Er hatte der Nachbarin seine Wohnungskündigung als gewollten Auszug vermittelt. Sie riecht den Braten, hakt aber nicht nach. Anständig. Danach kreist das Gespräch etwas peinlich um Belangloses und beide sind froh, als er schließlich ins Sprechzimmer gerufen wird.
Die Begutachtung des Arztes ist schnell und beruhigend: Da machen Sie sich mal keine Sorgen, das klingt ganz von alleine wieder ab. Natürlich könnte man - aus kosmetischen Gründen! - den Hubbel auch weg machen. Als der Arzt zum dritten Mal betont, dass Handeln eher aus kosmetischen Gründen geboten WÄRE, wundert sich Max, bedankt sich aber artig. Dann sei er ja beruhigt, er hätte befürchtet, es hätte etwas mit seinem seit zwei Jahren eiternden Zahn zu tun, dessen Reparatur er sich nicht leisten kann. Er wagt noch zu fragen, ob man heute die noch ausstehende Blutuntersuchung wegen seiner Leberwerte nicht gleich mit erledigte könne. „Ja wissen Sie, Herr Reinhardt, da habe ich schon meine Schwierigkeiten, Ihnen Blut abzunehmen, wenn Sie keine Praxisgebühr zahlen.“ Max sieht einen gelben Zettel auf seiner Akte. „Keine Praxisgebühr“ hat die Schwester darauf vermerkt. Dabei hatte er doch versprochen... gleich nächste Woche... wenn das JobCenter das Geld überwiesen hat... Er möchte im Boden versinken. Mehr stammelt verspricht er, das Geld nächste Woche vorbeizubringen, ganz bestimmt, und erhält ein gnädiges Na-Gut.
Auf dem Heimweg überlegt er sich, ob die Begutachtung des entzündeten Hubbels bei einem zahlenden Patienten nicht doch etwas intensiver ausgefallen wäre. Und ob dann nicht doch etwas mehr als kosmetische Gründe für eine Behandlung gesprochen hätten. Er nimmt sich vor, wegen Blutwerte erst nachzufragen, wenn er die Praxisgebühr wird bezahlen können.